Lineare Gleichungssysteme¶
Oftmals werden bei mathematischen Aufgaben nicht einzelne Gleichungen, sondern vielmehr Kombinationen von mehreren Gleichungen mit mehreren Unbekannten betrachtet. Damit ein solches Gleichungssystem eindeutig gelöst werden kann, müssen (mindestens) ebenso viele Gleichungen vorliegen wie Unbekannte vorhanden sind.
Sind die einzelnen Gleichungen eines Gleichungssystems linear, treten die Variablen also nur erster Potenz auf, so spricht man von einem linearen Gleichungssystem.
Im einfachsten Fall besteht ein lineares Gleichungssystem aus zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten. Bezeichnet man diese Variablen mit und , so kann man das Gleichungssystem allgemein in folgender Form darstellen:
Die so genannten Koeffizienten bis sind reelle Zahlen. Die erste Ziffer ihrer Indizes gibt jeweils die Zeilennummer, die zweite Ziffer die Spaltennummer an. und sind ebenfalls (reelle) Konstanten. Lösungen des Gleichungssystems sind alle Zahlenpaare , die sowohl die erste als auch die zweite Gleichung erfüllen.
Eine einzelne Gleichung mit zwei voneinander unabhängigen Variablen lässt sich niemals eindeutig lösen. Die Werte der einen Variablen lassen sich lediglich in Abhängigkeit von der anderen Variablen angeben, wobei im Allgemeinen unendlich viele Zahlenpaare als Lösungen existieren. Auf derartige (funktionale) Zusammenhänge wird im Rahmen der Analysis näher eingegangen.
Grundlegende Lösungsverfahren¶
Ein lineares Gleichungssystem der obigen Form lässt sich mit verschiedenen Methoden lösen, die sich hinsichtlich ihres Rechenaufwands erheblich voneinander unterscheiden. Um dies zu demonstrieren, werden die drei grundlegenden Verfahren im folgenden Abschnitt anhand des jeweils gleichen Beispiels vorgestellt. Dabei werden die Gleichungen zur besseren Übersichtlichkeit – wie allgemein üblich – mit römischen Ziffern durchnummeriert.
Einsetzungsverfahren:
Eine Gleichung kann nach einer Variablen, beispielsweise , aufgelöst werden, und der sich ergebende Term an Stelle der entsprechenden Variablen in die andere Gleichung eingesetzt werden. Obwohl dies einfach klingt, bringt diese Methode den größten Rechenaufwand mit sich.
Beispiel:
Löst man beispielsweise die Gleichung nach auf, so folgt:
Setzt man den resultierenden Ausdruck für in Gleichung ein, so erhält man:
Setzt man das Ergebnis in Gleichung ein, so folgt schließlich:
Die Lösung des Gleichungssystems ist somit .
Das Einsetzungsverfahren ist, wie man sich leicht vorstellen kann, für komplexere Gleichungssyteme nicht ohne erheblichen Rechenaufwand anwendbar.
Gleichsetzungsverfahren:
Löst man beide Gleichungen nach einer Variablen, beispielsweise , auf, so können die jeweils resultierenden Terme gleichgesetzt werden. Man erhält somit eine einzelne lineare Gleichung mit nur einer Unbekannten.
Beispiel:
Setzt man die beiden Terme für gleich, so ergibt sich folgende Gleichung, die gemäß der für lineare Gleichungen üblichen Methode nach aufgelöst werden kann:
Setzt man das Ergebnis wiederum in Gleichung ein, so erhält man wie im ersten Beispiel und damit als Lösung .
Auch die Gleichsetzungsmethode ist offensichtlich mit einigem Rechenaufwand verbunden und wird daher in der Praxis nur in seltenen Fällen angewendet.
Das Additionsverfahren:
Werden zwei Gleichungen mit jeweils passenden Faktoren multipliziert, so kann erreicht werden, dass die Koeffizienten einer Variablen, beispielsweise , einen betraglich gleichen Wert mit unterschiedlichem Vorzeichen annehmen.
Anschließend geht man von der Annahme aus, dass ein Zahlenpaar als Lösung des Gleichungssystems existiert. Dadurch kann beispielsweise die erste Gleichung zur zweiten addiert werden, da (wenn die Gleichung erfüllt) auf beiden Seiten das Gleiche addiert wird.
Beispiel:
Wird die erste Gleichung mit und die zweite Gleichung mit multipliziert, so nehmen die bei stehenden Koeffizienten gleiche Werte mit unterschiedlichen Vorzeichen an.
Unter der Annahme, dass ein Zahlenpaar als Lösung existiert, kann die erste Gleichung nun zur zweiten addiert werden. Hierbei entfällt die Variable , und wieder ergibt sich eine einzige Gleichung mit nur einer Unbekannten:
Setzt man das Ergebnis wiederum in Gleichung ein, so erhält man wie im ersten Beispiel und damit als Lösung .
Das Additionsverfahren ist im Allgemeinen mit dem geringsten Rechenaufwand verbunden und wird daher bevorzugt als grundlegende Lösungsmethode angewendet.
Die wesentliche Annahme des Additionsverfahrens, dass das Gleichungssystem eine eindeutige Lösung besitzt, trifft nicht für alle Gleichungsssysteme zu. Es kann dennoch auch dann angewendet werden, wobei im Allgemeinen die folgenden Fälle auftreten können
- Führt das Additionsverfahren auf eine Gleichung der Art , so entsprechen die beiden miteinander addierten Gleichungen einer einzigen Gleichung und einem Vielfachen dieser Gleichung. Somit liegt letztlich eine einzige Gleichung mit zwei Unbekannten vor, die im Allgemeinen nicht eindeutig lösbar ist, sondern unendlich viele Zahlenpaare als Lösung besitzt.
- Führt das Additionsverfahren auf eine Gleichung der Art , also einen Widerspruch, so existiert keine Lösung für das Gleichungssystem. (Dies ist vergleichbar damit, dass es beispielsweise kein gibt, für das zugleich und gilt.)
Das Additionsverfahren ist im Vergleich zum Einsetzungs- und Gleichsetzungsverfahren meist mit erheblich weniger Rechenaufwand verbunden; es stellt zugleich die Grundlage für den bei komplexeren Gleichungssystemen genutzten Gauss’schen Lösungsalgorithmus dar.
Der Gauss’sche Lösungsalgorithmus¶
Besteht ein Gleichungssystem aus mehr als zwei Gleichungen (mit mehr als zwei Unbekannten), so wird üblicherweise der nach Carl Friedrich Gauss benannte Algorithmus angewendet. Dieses Verfahren soll zunächst am Beispiel eines Gleichungssystems mit drei Gleichungen und drei Unbekannten demonstriert werden.
Ein Gleichungssystem mit drei Gleichungen und drei Unbekannten hat allgemein folgende Form:
Um ein derartiges Gleichungssystem zu lösen, ist es hilfreich, dieses schrittweise in eine treppenartige Form zu bringen. Hierzu geht man nach folgendem Schema vor:
- Als erstes wird eine der Gleichungen ausgewählt („Ausgangsgleichung“).
- Mittels des Additionsverfahrens wird paarweise die Ausgangsgleichung und eine der beiden anderen Gleichungen mit passenden Faktoren multipliziert, um zu erreichen, dass die Koeffizienten der ersten Variablen jeweils betraglich gleiche Werte mit unterschiedlichen Vorzeichen annehmen.
- Die Ausgangsgleichung und je eine weitere Gleichung werden paarweise addiert, um ein Wegfallen der ersten Variablen zu erreichen.
- Das Gleichungssystem mit drei Gleichungen und drei Unbekannten ist so auf ein Gleichungssystem mit zwei Gleichungen und zwei Unbekannten reduziert worden.[1] Die obigen Verfahrensschritte können auf dieses erneut angewendet werden.
Der Gauss’sche Algorithmus führt somit Gleichungssysteme mit vielen Gleichungen beziehungsweise Unbekannten schrittweise auf Gleichungssysteme mit weniger Gleichungen und Unbekannten zurück, bis nur noch eine Gleichung mit einer Unbekannten übrig ist. Diese Gleichung kann einfach gelöst werden, und durch Einsetzen der Lösung in die Ausgangsgleichung(en) können wiederum schrittweise auch die Lösungen aller anderen Unbekannten mühelos berechnet werden.
Beispiel:
Wählt man in diesem Beispiel Gleichung als Ausgangsgleichung und multipliziert sie mit drei, so kann man Gleichung passenderweise mit Minus vier multiplizieren, um bei beiden Gleichungen identische Koeffizienten mit unterschiedlichem Vorzeichen für zu erreichen. In gleicher Weise kann man Gleichung unverändert lassen und Gleichung mit zwei multiplizieren, um auch bei diesem Gleichungspaar identische Koeffizienten mit unterschiedlichem Vorzeichen für zu erreichen:
Wird jeweils die Ausgangsgleichung zu den beiden anderen Gleichungen addiert, so erhält man ein neues Gleichungssystem mit zwei Gleichungen und zwei Unbekannten. Diese werden mit römischen Ziffern gemäß ihrer beiden ursprünglichen Gleichungen nummeriert und als Zeichen dafür, dass es sich um hergeleitete Gleichungen handelt, mit einem Hochkomma markiert:
Um das Additionsverfahren erneut anwenden zu können, müssen wiederum beide Gleichungen mit geeigneten Faktoren multipliziert werden, um betraglich gleiche Koeffizienten mit unterschiedlichen Vorzeichen für zu erreichen. Dazu kann die neue Ausgangsgleichung mit Minus sechs und die zweite Gleichung mit fünf multipliziert werden:
Eine Addition beider Gleichungen führt schließlich auf eine einzige Gleichung, die nur noch die Variable beinhaltet.
Somit ist eine eindeutige Lösung für die Variable gefunden. Um die Lösungen für die Variablen und zu berechnen, setzt man die gefundene Lösung zunächst in die vorherige Ausgangsgleichung ein. Damit kann einfach bestimmt werden:
Setzt man die Lösungen und schließlich in die erste Ausgangsgleichung ein, so erhält man auch die Lösung für die letzte Variable :
Damit sind alle Variablen bestimmt. Die Lösung des Gleichungssystems ist .
Anmerkungen:
[1] | Allgemein kann auf diese Weise ein Gleichungssystem mit Gleichungen und Unbekannten auf ein Gleichungssystem mit Gleichungen und Unbekannten reduziert werden. |
Hinweis
Zu diesem Abschnitt gibt es Übungsaufgaben.