Grundbegriffe

Einige geometrische Gebilde treten in der Geometrie besonders häufig und in verschiedenen Zusammenhängen auf. Die wichtigsten dieser Grundelemente und damit zusammenhängende Begriffe werden im folgenden Abschnitt zusammenfassend vorgestellt.

Punkt, Gerade, Strecke und Strahl

Punkt und Dimension

Das vielleicht grundlegendste Objekt der Geometrie ist der Punkt. Ein Punkt ist dimensionslos, besitzt also keine räumliche Ausdehnung. Die Lage eines Punktes im Raum wird für gewöhnlich durch Koordinaten angegeben, beispielsweise \mathrm{P} (x\, ,\, y) für einen Punkt im zweidimensionalen Raum oder \mathrm{P}(x \, ,\, y \, ,\, z) für einen Punkt im dreidimensionalen Raum. Die Dimension eines Objekts gibt an, wie viele Raumrichtungen zur Beschreibung seiner geometrischen Eigenschaften berücksichtigt werden müssen.

Geraden und Halbgeraden

Eine Gerade g entspricht anschaulich einer Bahn, die sich ergibt, wenn sich ein Punkt ohne Änderung der Richtung unbegrenzt hin- und herbewegt. Eine Gerade weist stets eine eindeutige Richtung im Raum auf, hat jedoch im Allgemeinen keinen „Richtungssinn“, sie besitzt also keinen klar definierten Anfang als Startpunkt und kein klar definiertes Ende als Zielpunkt.[1] Vielmehr besteht jede Gerade aus einer Menge von unendlich vielen Punkten, die sich auf der geradlinigen Bahn befinden.

fig-gerade

Richtung und Richtungssinn einer Gerade.

Die Richtung einer Geraden wird bereits durch die Angabe zweier auf ihr liegender Punkte eindeutig festgelegt. Da jede Gerade stets nur entlang einer Raumrichtung verläuft, ist ihre Dimension gleich eins.

Betrachtet man einen Punkt \mathrm{P}, der auf einer Geraden liegt, so wird diese durch den Punkt in zwei Halbgeraden unterteilt. Liegt ein weiterer Punkt \mathrm{A} auf der einen, ein Punkt \mathrm{B} auf der anderen Halbgeraden, so schreibt man für beide Halbgeraden auch kurz \mathrm{[PA} bzw. \mathrm{[PB}.

fig-halbgerade-und-strahl

Darstellung einer Halbgeraden und eines Strahls.

Als Strahl bezeichnet man eine Halbgerade, der ein eindeutiger Richtungssinn zugewiesen wird.

Eine Strecke \overline{\mathrm{AB}} entspricht der Menge aller Punkte, die sich zwischen zwei auf Punkten \mathrm{A} und \mathrm{B} einer Geraden befinden; diese werden ebenfalls zur Punktmenge hinzugenommen. Eine Strecke entspricht stets dem kürzesten Abstand zwischen beiden Endpunkten.

Als Pfeil (oder Vektor) \overrightarrow{\mathrm{AB}} bezeichnet man eine Strecke zwischen zwei Punkten \mathrm{A} und \mathrm{B}, die einen eindeutigen Richtungssinn aufweist.

fig-strecke-und-vektor

Darstellung einer Strecke und eines Vektors.

Auf die Darstellung von Strecken, Vektoren und Geraden mittels Koordinaten wird im Abschnitt der Strecken und Geraden näher eingegangen.

Parallelität und Winkel

Verlaufen zwei voneinander verschiedene Geraden g_1 und g_2 entlang der gleichen Richtung, so heißen sie zueinander parallel.[2] Beide Geraden haben an jeder Stelle den gleichen Abstand a \ne 0 voneinander und somit keinen gemeinsamen Punkt („Schnittpunkt“).

fig-abstand-parallele-geraden

Abstand a zweier paralleler Geraden g_1 und g_2.

Der Abstand eines Punktes zu einer Geraden wird stets senkrecht zu dieser Geraden gemessen; dies entspricht der kürzest möglichen Strecke zwischen diesem Punkt und einem Punkt auf der Geraden. Der Abstand zweier paralleler Geraden entspricht dem Abstand irgendeines Punktes der einen Geraden zur anderen Geraden.

fig-abstand-punkt-gerade

Abstand a zwischen einem Punkt \mathrm{P} und einer Geraden.

Winkel und Gradmaß

Gehen zwei Strahlen von einem gemeinsamen Punkt \mathrm{S} („Scheitel“) aus, so bezeichnet man den Richtungsunterschied zwischen beiden Strahlen als Winkel. Üblicherweise werden Winkel mit griechischen Kleinbuchstaben symbolisiert; beschreibt der Winkel eine Drehung des Strahls gegen den Uhrzeigersinn, so wird er positiv genannt, andernfalls negativ. Liegen auf den zwei Strahlen (auch „Winkelschenkel“ genannt) die Punkte \mathrm{A} und \mathrm{B}, so schreibt man auch \alpha = \varangle
\mathrm{ASB}.

fig-winkel

Winkel zwischen zwei Strahlen.

Die Größe eines Winkels wird üblicherweise in Grad angegeben. Ein Grad entspricht dabei einem 360-tel einer vollen Umdrehung; wird also ein Strahl um einen Winkel von 360 \degree gedreht, so ist er deckungsgleich mit dem ursprünglichen Strahl. Je nach Winkelgröße unterscheidet man folgende Winkelarten:

  • Gilt {\color{white}18}0 < \alpha < \phantom{3}90 \degree, so nennt man den Winkel „spitz“.
  • Gilt {\color{white}1}90 < \alpha < 180 \degree, so nennt man den Winkel „stumpf“.
  • Gilt 180 < \alpha < 360 \degree, so nennt man den Winkel „überstumpf“.

Gilt für einen Winkel \alpha = 90 \degree, so wird er als „rechter Winkel“ bezeichnet, bei \alpha = 180 \degree wird ein Winkel „gestreckter Winkel“ genannt. Im Fall \alpha = 360 \degree, also einer vollen Umdrehung, bezeichnet man den Winkel auch als „Vollwinkel“.

Für die Angabe von sehr kleinen Winkelgrößen sind auch die Einheiten „Winkelminute“ und „Winkelsekunde“ gebräuchlich. Ein Grad entspricht 60 Winkelminuten, eine Winkelminute wiederum 60 Winkelsekunden. Dabei ist folgende Schreibweise üblich:

1 \degree &= 60' \\
1'\, &= 60''

Das Bogenmaß, das ebenfalls häufig für Winkelangaben Verwendung findet, wird im Abschnitt Gradmaß und Bogenmaß näher beschrieben.

Scheitelwinkel und Nebenwinkel

Schneiden sich zwei Geraden, so ergänzen sich zwei nebeneinander liegende Winkel jeweils zu 180°. Für je zwei so genannte „Nebenwinkel“ \alpha und \beta gilt also:

\alpha_1 + \beta_1 = \alpha_2 + \beta_2 = 180 \degree \\
\alpha_1 + \beta_2 = \alpha_2 + \beta_1 = 180 \degree

fig-winkel-scheitelwinkel-nebenwinkel

Scheitelwinkel und Nebenwinkel zweier sich schneidender Geraden g_1 und g_2.

Die einander gegenüberliegenden Winkel zweier sich schneidender Geraden heißen „Scheitelwinkel“. Scheitelwinkel sind paarweise stets gleich groß, es gilt also immer:

\alpha_1 &= \alpha_2 \\
\beta_1  &= \beta_2

Stufenwinkel und Wechselwinkel

Zeichnet man zu einer von zwei sich schneidenden Geraden eine parallel Gerade, so liegen am zweiten Schnittpunkt identische Winkelverhältnisse vor wie am ersten. Die Winkel, die auf der gleichen Seite der die beiden Parallelen schneidenden Geraden liegen, heißen „Stufenwinkel“ (oder kurz: „F“-Winkel), die einander gegenüber liegenden Winkel „Wechselwinkel“ (oder kurz: „Z“-Winkel).

fig-winkel-stufenwinkel-wechselwinkel

Stufenwinkel und Wechselwinkel zweier paralleler Geraden g_1 und g_2, die von einer weiteren Geraden g_3 geschnitten werden.

In der Abbildung Stufenwinkel und Wechselwinkel sind beispielsweise \beta_1 und \beta_3 als Stufenwinkel gleich groß, es gilt also \beta_1 =
\beta_3. Ebenso gilt \alpha_2 = \alpha_3, da es sich bei diesen beiden Winkeln um Wechselwinkel handelt.[3]

Zueinander senkrechte Winkel

Stehen die Strahlen zweier Winkel senkrecht aufeinander, so sind die beiden Winkel gleich groß. Der Grund dafür ist, dass die beiden aneinander liegenden \beta-Winkel Scheitelwinkel darstellen, also gleich groß sind. Da die Summe der Winkel in einem Dreieck stets 180 \degree beträgt und in beiden Dreiecken je ein Winkel gleich 90 \degree ist, folgt aus der Gleichheit von \beta auch die Gleichheit von \alpha.

fig-winkel-zueinander-senkrechte-winkel

Gleichheit von zueinander senkrecht stehenden Winkeln.

Eine naturwissenschaftliche Anwendung dieses Zusammenhangs stellt beispielsweise das Kraftverhältnis an einer schiefen Ebene dar.


Anmerkungen:

[1]Wird einer Geraden willkürlich ein Richtungssinn zugewiesen, so spricht man von einer „orientierten“ Geraden.
[2]Sind zwei orientierte Geraden g_1 und g_2 zueinander parallel, so können sie „gleichsinnig parallel“ (Symbol: g_1 \uparrow
\uparrow g_2) oder „antiparallel“ (Symbol: g_1 \uparrow \downarrow
g_2) zueinander verlaufen.
[3]Genau genommen gilt sogar \alpha_1 = \alpha_2 = \alpha_3 =
\alpha_4 sowie \beta_1 = \beta_2 = \beta_3 = \beta _{\mathrm{4}}, da es sich jeweils paarweise um Stufen- bzw. Wechselwinkel handelt.