Strecken und Geraden

Jeder Punkt \mathrm{P} eines kartesischen Koordinatensystems kann mittels seines Ortsvektors, also mittels seiner x-, \phantom{|}y- und z-Koordinaten eindeutig dargestellt werden.

Betrachet man mehrere Punkte mit unterschiedlichen Ortsvektoren, so lassen sich auch die Strecken zwischen den einzelnen Punkten mittels (normaler) Vektoren darstellen. Die Vektorrechung kann somit unmittelbar auf die Beschreibung von Strecken und Geraden angewendet werden.

Strecken und Teilverhältnisse

Bezeichnet man die zu zwei Punkten \mathrm{A} und \mathrm{B} gehörenden Ortsvektoren mit \vec{a} und \vec{b}, so ist die Verbindung zwischen diesen beiden Punkten durch den so genannten „Verschiebungsvektor“ \vec{v} charakterisiert:

\vec{v} = \vec{b} - \vec{a}

Die einzelnen Koordinaten des Verbindungsvektors erhält man, indem man die Koordinaten des Ausgangspunkts von den Koordinaten des Endpunkts subtrahiert:

(1)\vec{v} = \begin{pmatrix}
    v_{\mathrm{x}} \\ v_{\mathrm{y}} \\ v_{\mathrm{z}}
\end{pmatrix} =
\begin{pmatrix}
    \mathrm{B}_{\mathrm{x}} - \mathrm{A}_{\mathrm{x}} \\
    \mathrm{B}_{\mathrm{y}} - \mathrm{A}_{\mathrm{y}} \\
    \mathrm{B}_{\mathrm{z}} - \mathrm{A}_{\mathrm{z}} \\
\end{pmatrix}

Im zweidimensionalen Fall entfällt die dritte Koordinate.

fig-strecke-darstellung-mittels-vektoren

Darstellung einer (zweidimensionalen) Strecke mittels Vektoren.

Mittels des Verschiebungsvektors \vec{v} gelangt man vom Punkt \mathrm{A} zum Punkt \mathrm{B}, indem man diesen zum Ortsvektor des Punktes \mathrm{A} addiert:

\vec{a} + \vec{v} = \vec{a} + (\vec{b} - \vec{a}) = \vec{b}

Eine Strecke lässt sich somit wahlweise durch die Angabe zweier Punkte (beziehungsweise deren Ortsvektoren) oder auch durch Angabe eines Ortsvektors sowie des Verschiebungsvektors \vec{v} beider Punkte beschreiben:

(2)\overline{\mathrm{AB}} = \vec{a} + \lambda \cdot \vec{v}

Der Faktor 0 \le \lambda \le 1 ist notwendig, da eine Strecke die Menge aller Punkte zwischen den zwei Endpunkten darstellt; dies ist äquivalent dazu, dass man zum Ausgangspunkt einen beliebigen Bruchteil (kleiner oder gleich 1) des Verschiebungsvektors hinzu addiert.
Der Faktor \lambda selbst wird „Linearfaktor“ genannt: Er gibt als reiner Zahlenwert („Skalar“) an, um welchen Faktor der mit ihm multiplizierte Vektor skaliert, also gestaucht beziehungsweise gestreckt wird. Ist der Wert von \lambda negativ, so wird die Richtung des mit ihm multiplizierten Vektors umgekehrt.

|\lambda| < 1 \quad &\Longleftrightarrow \quad \text{Stauchung} \\
|\lambda |> 1 \quad &\Longleftrightarrow \quad \text{Streckung}

Beispiel:

  • In der obigen Abbildung hat der Punkt \mathrm{A} die Koordinaten (1;\;2) und der Punkt \mathrm{B} die Koordinaten (4;\;3). Wie lässt sich die Strecke \overline{\mathrm{AB}} mittels zweier Vektoren darstellen?

    Der Verschiebungsvektor \vec{v} zwischen \mathrm{A} und \mathrm{B} ergibt sich aus der Differenz der beiden Ortsvektoren:

    \vec{v} = \begin{pmatrix}
    4 \\ 3
\end{pmatrix} - \begin{pmatrix}
    1 \\ 2
\end{pmatrix} = \begin{pmatrix}
    4 - 1 \\
    3 - 2 \\
\end{pmatrix} = \begin{pmatrix}
    3 \\ 1
\end{pmatrix}

    Mit dem Punkt \mathrm{A} als Ausgangspunkt erhält man damit folgende Darstellung der Verbindungslinie zwischen \mathrm{A} und \mathrm{B}:

    \overline{\mathrm{AB}} = \begin{pmatrix}
    1 \\ 2
\end{pmatrix} + \lambda \cdot \begin{pmatrix}
    3 \\ 1
\end{pmatrix}

    Auch hier muss wiederum 0 \le \lambda \le 1 gelten.

Das Teilverhältnis

Für die folgenden Überlegungen wird wiederum eine Strecke \overline{\mathrm{AB}} betrachtet, die durch einen Punkt auf ihr liegenden Punkt \mathrm{T} in zwei Abschnitte unterteilt wird.

Das so genannte „Teilverhältnis“ \lambda^{*} > 0 gibt dabei an, in welchem Verhältnis \mathrm{T} die Strecke \overline{\mathrm{AB}} teilt:

(3)\lambda^{*} = \overline{\mathrm{AT}} : \overline{\mathrm{TB}}

Der Wertebereich von \lambda^{*} liegt zwischen Null und Unendlich:

  • Ist der Teilpunkt \mathrm{T} identisch mit dem Punkt \mathrm{A}, so ist \lambda^{*} = 0.
  • Halbiert der Teilpunkt \mathrm{T} die Strecke \overline{\mathrm{AB}}, so ist \lambda^{*} = 1.
  • Nähert sich der Teilpunkt \mathrm{T} zunehmend dem Punkt \mathrm{B}, so geht der Wert des Teilverhältnisses \lambda^{*} gegen Unendlich. Für \mathrm{T} = \mathrm{B} ist das Teilverhältnis nicht definiert.

Kennt man die Koordinaten der Punkte \mathrm{A} und \mathrm{B} sowie das Teilverhältnisses \lambda^{*} so ergeben sich folgende Streckenlängen für \overline{\mathrm{AT}} beziehungsweise \overline{\mathrm{TB}}:

(4)\overline{\mathrm{AT}} &= \left|\frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*}+1}\right|
\cdot \overline{\mathrm{AB}} \\[6pt]
\overline{\mathrm{TB}} &= \left|\frac{1}{\lambda^{*}+1}\right| \cdot
\overline{\mathrm{AB}}

Beispiel:

  • Eine Strecke hat die Endpunkte \mathrm{A} = (1;\, 1) und \mathrm{B} = (9;\, 7). Wie weit ist der Punkt \mathrm{T}, der die Strecke \overline{\mathrm{AB}} im Verhältnis 2:1 teilt, von \mathrm{A} entfernt?

    Um zu bestimmen, wie weit der Punkt \mathrm{T} von \mathrm{A} entfernt ist, muss die Länge der Strecke \overline{\mathrm{AT}} bestimmt werden. Dies ist mittels der obigen Formel möglich, wenn man zunächst die Länge der Strecke \overline{\mathrm{AB}} berechnet:

    \overline{\mathrm{AB}} = \left| \overline{\mathrm{0B}} - \overline{\mathrm{0A}}
\right| = \left| \begin{pmatrix}
    9 \\ 7
\end{pmatrix} - \begin{pmatrix}
    1 \\ 1
\end{pmatrix} \right| = \left|
\begin{pmatrix}
    8 \\ 6
\end{pmatrix} \right | = \sqrt{8^2 + 6^2} = \sqrt{100} = 10

    Mit dem Teilungsverhältnis \lambda^{*} = 2:1 = 2 ergibt sich gemäß der obigen Formel für die Länge der Strecke \overline{\mathrm{AT}}:

    \overline{\mathrm{AT}} =  \left|\frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*}+1}\right|
\cdot \overline{\mathrm{AB}} \; = \; \frac{2}{2 + 1} \cdot 10 \; \approx \;  6,67

    Der Teilpunkt \mathrm{T} auf der Strecke \overline{\mathrm{AB}} ist somit rund 6,67 Längeneinheiten vom Punkt \mathrm{A} entfernt.

Koordinaten des Teilpunktes

Ausgehend vom Punkt \mathrm{A} gelangt man zum Teilpunkt \mathrm{T}, indem man \lambda = \frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*}+1} in die Streckengleichung (2) einsetzt.
Umgekehrt gelangt man vom Punkt \mathrm{B} zum Teilpunkt \mathrm{T}, indem man \lambda' = -\frac{1}{\lambda^{*}+1} in die Streckengleichung einsetzt:

Für den Zum Teilpunkt \mathrm{T} gehörenden Ortsvektor \overline{\mathrm{OT}} gilt somit:

\overrightarrow{\mathrm{OT}} = \vec{a} + \left(
\frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \vec{v} \\[4pt]
\overrightarrow{\mathrm{OT}} = \vec{b} - \left( \frac{1}{\lambda^{*} - 1}
\right) \cdot \vec{v}

Setzt man in die erste der beiden obigen Gleichungen \vec{v} = \vec{b} -
\vec{a} ein, so erhält man:

\overrightarrow{\mathrm{OT}} &= \vec{a} + \left(
\frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \left( \vec{b} - \vec{a}
\right) \\[4pt]
&= \vec{a} + \left( \frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} +
1} \right) \cdot \vec{b} - \left( \frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} + 1}\right)
\cdot \vec{a}

Um die rechte Seite der Gleichung weiter vereinfachen zu können, kann man \vec{a} = 1 \cdot \vec{a} schreiben und 1 =
\frac{\lambda^{*}+1}{\lambda^{*}+1} setzen; so erhalten alle Terme den gleichen (Haupt-)Nenner und können somit zusammengefasst werden:

\overrightarrow{\mathrm{OT}} &= \left( \frac{\lambda^{*} + 1}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \vec{a} +
\left( \frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \vec{b} - \left(
\frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} + 1}\right) \cdot \vec{a}  \\[4pt]
&= \left( \frac{1}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \vec{a} + \left(
\frac{\lambda^{*}}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \vec{b}  \\[4pt]
&= \left( \frac{1}{\lambda^{*} + 1} \right) \cdot \left( \vec{a} +
\lambda^{*} \cdot \vec{b}  \right)

In der zweiten Zeile der obigen Gleichung wurde das Distributivgesetz für Vektoren genutzt und die hintere Klammer ausmultipliziert; in der mittleren Zeile wurde dann die Identität \vec{a}
= 1 \cdot \vec{a} genutzt und 1 = \frac{\lambda^{*} + 1}{\lambda^{*} +
1} gesetzt, um die additiv beziehungsweise subtraktiv verknüpften Terme auf einen Hauptnenner bringen zu können.

Für die Komponenten des Teilpunktes gilt somit:

\mathrm{T} = \left( \frac{1}{\lambda^{*}+1} \right) \cdot \begin{pmatrix}
    \mathrm{A}_{\mathrm{x}} + \lambda^{*} \cdot B_{\mathrm{x}} \\
    \mathrm{A}_{\mathrm{y}} + \lambda^{*} \cdot B_{\mathrm{y}} \\
    \mathrm{A}_{\mathrm{z}} + \lambda^{*} \cdot B_{\mathrm{z}} \\
\end{pmatrix}

Für den Mittelpunkt T_{\mathrm{M}} einer Strecke gilt insbesondere \lambda^{*} = 1, und somit

\mathrm{T}_{\mathrm{M}} = \left( \frac{1}{2} \right) \cdot \begin{pmatrix}
    \mathrm{A}_{\mathrm{x}} + B_{\mathrm{x}} \\
    \mathrm{A}_{\mathrm{y}} + B_{\mathrm{y}} \\
    \mathrm{A}_{\mathrm{z}} + B_{\mathrm{z}} \\
\end{pmatrix}

Geraden in einer Ebene

Eine Gerade g kann, ebenso wie eine Strecke, mittels eines Punktes \mathrm{A} beziehungsweise dessen Ortsvektors \vec{a} und eines „Richtungsvektors“ \vec{v} dargestellt werden:

(5)g = \vec{a} + \lambda \cdot \vec{v}

In diesem Fall kann für \lambda \in \mathbb{R} allerdings ein beliebig großer, gegebenenfalls auch negativer Zahlenwert gewählt werden.
Bei der Bezeichnung von Geraden wird der Richtungspfeil weggelassen, da eine Gerade keinen eindeutigen Richtungssinn hat; bei g handelt es sich vielmehr um die Menge aller Punkte, welche die zugehörige Gleichung erfüllen.
Soll eine Gerade durch zwei Punkte \mathrm{A} und \mathrm{B} festgelegt werden, so so entspricht der Richtungsvektor \vec{v} wiederum dem Verschiebungsvektor (1) beider Punkte.

… to be continued …


Anmerkungen: